Anwenderberichte

Ein herausforderndes Miteinander

Laborplanung und Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer
Zahlreiche Anforderungen an die Labornutzung – auch bei der Vakuumversorgung

Zahlreiche Anforderungen an die Labornutzung – auch bei der Vakuumversorgung

Das Wichtigste zu Beginn jeder Laborplanung ist die Bedarfsermittlung. Dann treffen Nutzerinnen und Nutzer auf Planungsbüros, um gemeinsam Ansprüche an das neue Labor zu erfassen. Dabei besteht die Herausforderung, dass diese Anforderungen mitunter nicht vollständig zur Sprache kommen. Denn für Nutzer sind ihre täglichen Abläufe aus dem bestehenden Labor selbstverständlich. Jedoch sind sie für Planer nicht zwangsläufig bekannt. Eine Lösung für das effektivere Miteinander: Die Anforderungen zu Beginn der Planungen detailliert ermitteln – und zwar über die Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen. Dr. Stephan Wagner vom Institut für Anorganische Chemie der Universität Würzburg spricht im Interview über diese Methode, die er bei einer Reihe von Projekten erfolgreich anwenden konnte.

Welche Projekte betreuen Sie bei der Universität Würzburg?

Dr. Stephan Wagner: An der Fakultät für Chemie und Pharmazie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg haben wir in den vergangenen Jahren gleich mehrere Neubauten umgesetzt. Für einige dieser Projekte war ich selber als Baubeauftragter der Fakultät tätig. Beispielsweise entstand im Jahr 2011 ein Laborgebäude für Praktika der Chemie, Physik und Biologie. Darüber hinaus im Jahr 2018 ein großes neues Institutsgebäude für die Anorganische Chemie mit einer Fläche von 3.000 m2 allein für Laborräume sowie einem der größten NMR*-Labore in Nord-Bayern. Jetzt im Jahr 2021 sind wir gerade dabei, das Forschungsgebäude für das Institut für nachhaltige Chemie und Katalyse mit Bor in Betrieb zu nehmen.

* Die NMR-Spektroskopie (englisch Nuclear Magnetic Resonance) basiert auf der Untersuchung der elektronischen Umgebung einzelner Atome und deren Wechselwirkungen mit Nachbaratomen. Diese Methode wird sowohl zur Strukturaufklärung von kleinen bis hin zu großen, komplexen Molekülen als auch zur Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen Molekülen angewandt.

Wer ist an einer Laborplanung beteiligt?

Dr. Stephan Wagner: Ein Neubau erfordert das komplexe Zusammenspiel von vielen Personen. Grundsätzlich ist die Universität der Bauherr. Für die Realisierung ist jedoch das staatliche Bauamt zuständig; dieses ist verantwortlich für das gesamte Projektmanagement und beauftragt die entsprechenden Planungsbüros. In der Planungsphase treffen sich also ganz verschiedene Beteiligte – von Universität, Bauamt und Planungsbüro.

Ist die Planung für alle Laborarten gleich?

Dr. Stephan Wagner: Wir haben an der Universität in Würzburg standardmäßig Praktikumslabore, Institutslabore und Forschungslabore. Bei allen stehen die Anforderungen der unterschiedlichen Nutzer im Mittelpunkt der Planung. In manchen Laboren haben wir über 100 Mitarbeiter. Sie können sich vorstellen, welchen Aufwand das für die Bedarfsermittlung bedeutet.

Bei einem Praktikumslabor sind die Nutzer Studierende, deren vielzählige etablierte Arbeitstechniken sich über einen sehr langen Zeitraum nicht ändern werden. Bei einem Institutslabor sind die Nutzer dagegen Wissenschaftler und auch fortgeschrittene Studierende mit einer vergleichsweise geringeren Anzahl von Arbeitstechniken; Anforderungsänderungen können beispielsweise im Falle einer Neuberufung von Professoren während der Planungs-oder Bauphase entstehen, weswegen die Laborflächen etwas flexibler geplant werden sollten. Bei einem reinen Forschungslabor sind die Nutzer ausschließlich Wissenschaftler mit einer eher überschaubaren Anzahl an Arbeitstechniken, deren Anforderungen allerdings ziemlich hoch sein können.

Man gelangt beim Vergleich dieser drei Laborarten zu dem Ergebnis, dass die Nutzeranforderungen durchaus unterschiedlich sind und auch die Ermittlung derselben schwierig werden kann.

Welche Herausforderungen kennen Sie von der Laborplanung?

Dr. Stephan Wagner: Prinzipiell muss man sagen, dass sowohl die Nutzer als auch die Planer von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen. Was benötigt ein Planungsbüro? Eine vollständige Liste aller Anforderungen. Was benötigen die Nutzer? Ein Labor, in dem sie uneingeschränkt Chemie betreiben können.

Die Frage „Welche Anforderung hast du an ein neues Labor?“ führt jedoch mitunter zu Antworten wie „Ich benötige ein möglichst großes Abtropfgestell über dem Waschbecken“. Diese sehr spezifischen Hinweise sind zum Beginn der Planung wenig hilfreich. Es geht vielmehr um grundlegende Anforderungen für das Funktionieren eines Labors. Doch der Nutzer kennt nur seine augenblickliche Arbeitssituation und kann sich ein neues Labor nicht wirklich vorstellen.

Eine weitere Herausforderung ist, dass der Nutzer wie selbstverständlich davon ausgeht, dass der Laborplaner bestimmte Anforderungen bereits kennen muss. Meine allerliebste Aussage, die ich gehört habe: „Woher soll ich wissen, dass du nicht weißt, was ich will?“ Ich denke, hier gibt es ein relativ großes Missverständnis. Der Laborplaner ist im Allgemeinen kein Chemiker und hat auch keine genaue Kenntnis der Chemie des Nutzers. Es ist also mitunter schwierig, im Rahmen der Neuplanung eines Labors alle Anforderungen vollständig zu formulieren. Das kann häufig zu einer Fehlplanung führen.

Welche Beispiele gibt es für Fehlplanungen?

Dr. Stephan Wagner: Von den Nutzern kommen beispielsweise Aussagen wie „Ich benötige ein effizientes Vakuumnetzwerk im Praktikumslabor. Dort benötige ich zwei Anschlüsse in jedem Abzug für Vakuum-Membranpumpen.“ Das ist jetzt erst mal keine besondere Herausforderung, sondern Standard. Was der Nutzer jedoch nicht sagt, ist, dass ein Anschluss nur für Filtrationen verwendet werden soll und der andere Anschluss für Destillationen. Und beides soll simultan verwendet werden, am besten von 10 verschiedenen Studierenden gleichzeitig. Sie stellen fest: Wenn wir hier nicht zwei unterschiedliche Vakuumnetzwerke planen, dann kollabiert das System komplett, sobald das Labor in Betrieb genommen wird. So etwas lässt sich zum Glück auch nachträglich noch relativ einfach lösen.

Etwas schwieriger wird es beispielsweise bei den Anforderungen für einen BET-Analysator, um die Porengröße von metallorganischen Gerüstverbindungen (englisch metal-organic frameworks, MOFs) zu bestimmen. Es kommt vor, dass der Laborplaner eine Dokumentation vom Analysator erhält, aber nicht erfährt, dass die Experimente mitunter auch unter Verwendung von Stickstoffmonoxid- und Kohlenstoffmonoxid-Gas ausgeführt werden. Dafür sind ziemlich spezielle Sicherheitsmaßnahmen notwendig. Wenn diese jedoch fehlen, spricht man eigentlich von einer klassischen Fehlplanung und das Labor ist völlig nutzlos. Sie können zwar einen BET-Analysator betreiben, aber leider nicht mit den Gasen, mit denen Sie arbeiten möchten.

Welche Lösung empfehlen Sie für die vollständige Bedarfsermittlung?

Dr. Stephan Wagner: Ich denke, man muss zuerst einmal die richtigen Fragen stellen. Man darf nicht nach den Anforderungen fragen, sondern nach den Experimenten oder besser noch nach den Tätigkeiten. Welche Gefährdungen werden durch diese Tätigkeiten hervorgerufen? Welche Anforderungen müssen im Labor erfüllt sein, damit die Tätigkeiten sicher durchgeführt werden können? Und das ist eigentlich nichts anderes als eine klassische Gefährdungsbeurteilung. Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, diese ganz zu Beginn des Planungsprozesses durchzuführen.

Wie verläuft eine Gefährdungsbeurteilung?

Dr. Stephan Wagner: Wir haben unsere systematischen Gefährdungsbeurteilungen anhand eines Formblatts standardisiert. Darin fragen wir zuerst ganz klassisch ab, welche Tätigkeiten eigentlich ausgeführt werden. Danach notieren wir alle damit verbundenen arbeitsplatzspezifischen Risiken. Und wenn wir diese erstmal erfasst haben, kennen wir auch relativ genau die technischen Anforderungen, die an ein solches Labor gestellt werden müssen.

Haben Sie ein Beispiel für die gelungene Planung?

Mit Gefährdungsbeurteilungen die Anforderungen an Glove Boxen ermitteln

Mit Gefährdungsbeurteilungen die Anforderungen an Glove Boxen ermitteln

Dr. Stephan Wagner: Ich erinnere mich an folgende Anforderung: „Wir benötigen einen Raum, um darin eine Glove Box zu betreiben.“ Laut der Nutzer genügten dafür

  • Stromanschluss,
  • Wasseranschluss und
  • Anschluss für hochreines Argon oder Stickstoff.

Bei der systematischen Gefährdungsbeurteilung wurde dann aber klar, dass von Zeit zu Zeit der Kupferkatalysator regeneriert werden muss. Dafür benötigen Sie Formiergas*. Und je nachdem, welches Formiergas Sie verwenden, kann es durchaus passieren, dass ein explosives Gasgemisch entsteht. Auch der Aktivkohlefilter* muss gelegentlich getauscht werden. Dieser ist schadstoffbelastet und es werden Feinstaubpartikel freigesetzt.

Diese Tätigkeiten werden vom klassischen Nutzer erst einmal übersehen. Wird dann das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung in eine Liste von Anforderungen umgesetzt, sehen Sie, dass diese deutlich länger geworden ist:

  • Entsprechende Abluft für die Vakuumpumpen und für das Prozessgas
  • Gasentnahmestation für das Formiergas
  • Abzug in der Nähe für den Aktivkohlefilter zum Tauschen
  • Anschluss an die unterbrechungsfreie Stromversorgung, weil mittlerweile fast alle Glove Boxen mit internem Kühlschrank ausgeliefert werden.
  • 8-fachen Luftwechsel, damit sich keine Inertgas-Atmosphäre ansammelt, wenn ein Handschuh platzt.
  • Und vieles mehr

Ich denke, es wird relativ deutlich klar, welches gute Werkzeug eine Gefährdungsbeurteilung im Rahmen einer Laborneuplanung darstellt.

* Formiergas ist ein Sammelname für leicht reduzierend wirkende Gasgemische aus Stickstoff oder Argon und Wasserstoff. Formiergas wird als Schutzgas bei der Warmverarbeitung von Metallen eingesetzt

 

* Aktivkohlefilter werden sowohl für die Behandlung und Reinigung von Gasen wie auch von Flüssigkeiten verwendet.

Welche Anforderungen gibt es speziell an die Vakuumversorgung?

Dr. Stephan Wagner: Die Anforderungen sind abhängig von vielen Faktoren – wie benötigtem Vakuumbereich, Art und Menge der Lösemittel, Methode der Vakuumregelung oder Anzahl der Entnahmestellen. Wir haben an der Universität Würzburg sowohl Einzelplatzversorgungen als auch lokale Vakuumnetzwerke mit VACUUBRAND umgesetzt:

Bei der Einzelplatzversorgung ist jeder Arbeitsplatz mit einer separaten Vakuumpumpe ausgestattet. Beispielsweise versorgen leistungsstarke Drehschieberpumpen unsere Schlenk Lines oder Glove Boxen mit ausreichend tiefem Vakuum. Das ist wichtig, um die sicherheitsrelevante Inertgas-Atmosphäre aufrechtzuerhalten.

Bei einem lokalen Vakuumnetzwerk – dem sogenannten VACUU·LAN – versorgt jede Vakuumpumpe mehrere Arbeitsplätze. Wir haben verschiedene Vakuumnetzwerke mit Chemie-Membranpumpen für Destillationen, Filtrationen oder Rotationsverdampfung. Die einzelnen Anschlüsse sind durch integrierte Rückschlagventile abgesichert, um gegenseitige Beeinflussung und Verunreinigung zu vermeiden. Wir verwenden diese Lösung für Labore mit vielen Nutzern und Arbeitstechniken. Vakuumnetzwerke sind für uns notwendig, um mehrere Prozesse gleichzeitig und trotzdem sicher betreiben zu können.

Sie sehen, dass es in unseren Laboren unterschiedliche Anforderungen und Möglichkeiten gibt, eine Vakuumversorgung aufzubauen. Deswegen ist es auch hier sinnvoll, Gefährdungsbeurteilungen als Werkzeug bei der Laborplanung einzusetzen.

 

Wir danken Herrn Dr. Stephan Wagner und der Universität Würzburg für das Gespräch.

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Verfasst von:
Rosemarie Kmitta
Content Manager
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